Die Kooperation in Herten

Wenn es um die Situation und die Zukunft der evangelischen Kirche in Herten geht, dann ist gegenwärtig „Kooperation“ einer der zentralen Begriffe. Es gilt, Antworten zufinden auf die vielzitierte Krise der Kirche,die gekennzeichnet ist durch sinkende Zahlen von Pfarrern, Gemeindegliedern und Gottesdienstbesuchern, durch rückläufige Einnahmen, durch den Bedeutungsverlust der Kirche in der Gesellschaft. Gleichzeitig sind viele Menschen auf der Suche nach (mehr) Sinn in ihrem Leben – nur denken sie seltener als früher an die Kirche, wenn es um Antworten auf ihre Fragen geht.

Diese Herausforderung trifft die zwei Hertener Gemeinden in ganz unterschiedlichen Situationen. Klar ist indes für alle, dass keine Gemeinde für sich allein die Probleme meistern kann:

Pfarrerinnen und Pfarrer müssen den Nachbarn unterstützen, wenn es um die Gestaltung von Gottesdiensten oder die Erledigung von Amtshandlungen geht, der Betrieb der Kindergärten ist schon lange eine gemeinschaftliche Aufgabe, viele Christen nehmen die Grenzen zwischen den Gemeinden kaum noch als Hindernisse wahr, wenn sie ihren Glauben leben wollen. Erste Gespräche zur Bildung einer Stadtgemeinde - solche Fusionen hat es in Nachbarstädten bereits gegeben - führten Ende 2010 nicht zum gewünschten Ergebnis, stattdessen begaben sich die damals noch vier Gemeinden auf den mitunter mühsamen Weg der Kooperation. Vertretungsdienste der Pfarrer, gemeinsame Gottesdienste, ein gemeinsamer Gemeindebrief sind konkrete Ergebnisse. Um das Zusammenwachsen kümmerte sich ein "Lenkungsausschuss", in dem unter Vorsitz von Pfarrer Andreas Wilkens und unter fachkundiger Beratung Abgesandte aus den vier Presbyterien ausloteten, wo und wie die Zusammenarbeit gestärkt und ausgebaut werden kann. Das Ganze spielt in einem noch größeren Rahmen, den die Westfälische Landeskirche und der Evangelische Kirchenkreis Recklinghausen abstecken. So legt der Kirchenkreis bei der Besetzung und Bezahlung von Pfarrstellen die Daten für ganz Herten zugrunde. Und da gilt bei einem von der Landeskirche vorgegebenen Schlüsselwert von knapp 3 000 Gemeindegliedern pro Pfarrstelle, dass die Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer weiter schrumpfen wird.

Bei heute noch gut 18 000 Gemeindegliedern hätten die Gemeinden aktuell einen Anspruch auf 6 Pfarrer – tatsächlich sind aber 6,5 (bzw. 7) Stellen im Gemeindepfarrdienst besetzt. Bei zurzeit sieben Predigtstätten, in denen in der Regel an jedem Sonntag Gottesdienst gefeiert wird, ist die personelle Enge leicht erkennbar. Mitunter kaum noch zu leisten ist auch die Zahl der Beisetzungen, die in einer immer älter werdenden Gesellschaft auf die Seelsorger zukommen. Manche Aufgaben sind schlicht nur noch zu erfüllen, wenn man sich grenzüberschreitend hilft. „Und es ist auch ganz klar, dass wir nicht mehr überall alles tun können, was früher selbstverständlich zum Angebot einer Gemeinde gehörte“, wissen die Verantwortlichen. „Reduzierung auf das Kerngeschäft“ heißt ein Weg in und aus der Krise.

Was ist das Kerngeschäft? Doch da sind Konflikte nicht weit: Wer seinen individuellen Wunsch nach kirchlicher Dienstleistung nicht erfüllt bekommt, wo eine Gruppe auf die gewohnte Teilnahme der Pfarrerin am monatlichen Treffen verzichten muss, bleiben mitunter Enttäuschung und Resignation zurück. Es sind Antworten zu finden auf Fragen wie: Was ist das, unser „Kerngeschäft“? Was müssen und können die Pfarrerinnen und Pfarrer selbst leisten? Wo kann ehrenamtliche Unterstützung für Entlastung sorgen? Wo müssen Ehrenamtliche selbst Verantwortung übernehmen?

Und damit nicht genug. Selbst dort, wo die Kirche beim sonntäglichen Gottesdienst gut gefüllt ist, gehören ja kaum fünf Prozent der Gemeindeglieder zu den regelmäßigen, vielleicht fünfzehn Prozent zu den gelegentlichen Gottesdienstbesuchern. Mit neuen Angeboten die übrigen 85 Prozent anzusprechen und ihnen Lust auf Kirche zu machen, auf veränderte Bedürfnisse in der Gesellschaft zu reagieren, das ist eine Aufgabe, welche die Gemeinden nur gemeinsam anpacken können. Es geht auch darum, in den Gemeinden Schwerpunkte zu setzen, es geht um das Herausbilden und Schärfen von Profil in der Gemeinschaft „Evangelisch in Herten“, in der Gemeindegrenzen an Bedeutung verlieren. Kurzum, die Kooperation der Hertener Gemeinden tut Not angesichts mancher Notlage, aber sie kann für die Kirche auch neue Impulse setzen. Die Zusammenarbeit soll dazu beitragen, dass die evangelische Kirche in dieser Stadt nicht nur ihr Kleinerwerden organisiert, sondern auch anziehend wird für neue Gruppen von Interessierten.